Berlin – Badbergen – Deutschland / Nach nunmehr fast drei Monaten am Meer und auf dem Meer, das in allen möglichen Blautönen schimmert, müssen sich meine Augen erst einmal an das satte Grün um mich herum gewöhnen. Seit Freitag letzter Woche sind Stephan und ich in Deutschland. Unsere alte Heimat empfing uns mit tollstem Maiwetter, so dass wir schon am Freitagabend im Straßencafe sitzen konnten.
Am Samstag feierten wir den Geburtstag von Stephans Sohn Paul, für den wir extra anreisten. 30 ist schließlich ein bedeutendes Alter. Irgendwie wird man da richtig erwachsen. So haben wir auch das Gefühl, dass dem so ist. Stephan bleibt weiterhin in Berlin, um dort seine Freunde und Familie zu besuchen und noch einige Dinge für seine Mutter zu erledigen. Ich reiste am Sonntag (der Bahn-Streik war fast vorbei) Richtung Osnabrück zu meiner Schwester und meiner Mutter. Dort sitze ich nun in der Pergola, höre den Vögeln zu und schaue in einen blühenden Garten. Es tut sehr gut.
Vor fast zwei Monaten – genauer gesagt vor 58 Tagen – fuhren wir von Kusadasi in der Türkei los. In den 58 Tagen waren wir 20 davon auf See und machten in dieser Zeit 700 Seemeilen (= 1.300Kilometer, ich rechne jetzt nur die aktuelle Strecke, nicht die Meilen, die wir durch das Kreuzen segeln mussten). Das sind im Durchschnitt 35 Seemeilen = 68 Kilometer. Also kein berühmter Schnitt, im Gegenteil, wir waren irre langsam. Und das obwohl wir von den 20 Tagen insgesamt 8 Tage und Nächte durchgefahren sind. 30,7 Stunden davon sind wir motort, davon natürlich viele Anlege- und Abfahrtmanöver, aber auch einige Strecken während der Flauten. Trotz allem war es anstrengend, da wir fast immer gegen den Wind segeln mussten, wenn wir Wind hatten, oder wir hatten gar keine Wind und da fuhren wir ja zwei Tage eine Seemeile rückwärts! Alles in allem war es also keine einfache Zeit, auch deshalb weil wir sehr früh durch das Mittelmeer fuhren und kalt war es zudem. Jeden Tag machten wir unsere Notizen und jeder Tag bekam von uns ein Plusplus (13 Tage), ein Plus (18 Tage), ein neutrales Zeichen (18 Tage), ein Minus (5 Tage) oder ein MinusMinus (4 Tage) für einen ganz miesen Tag. Die Plusplus und Plus-Tage überwiegen eindeutig, die Minustage und vor allem die Minusminus-Tage sind deutlich in der Minderheit.
Trotz allem brauchen Stephan und ich nun etwas Zeit, die ganze Reise zu verdauen. Es war oft schwierig und manchmal bis an die Grenzen der Erschöpfung. Dann kamen Tage zum Aufatmen und schöne Erlebnisse. Dennoch müssen wir überdenken, wie wir weitermachen wollen. Ich bin manchmal traurig, dass wir manche Dinge gar nicht geniessen können oder gar nicht dazu kommen, mit dem Land und den Menschen in Verbindung zu kommen, weil wir entweder auf das Wetter hören müssen (Priorität Nummer 1) oder weil wir einfach erst einmal wieder Kraft tanken müssen, um wieder weitermachen zu können (Priorität 2). Meine Kräfte sind auch schneller verbraucht als die von Stephan. Auch mental ist es für mich anstrengend, das muss ich ehrlich gestehen. Stephan kann damit besser umgehen. Ich habe einfach manchmal große Angst oder bin schon vorab in Sorge, bevor es überhaupt losgeht. Stephan vergleicht mich mit einer Schachspielerin, die schon immer fünf Züge im voraus denkt und alles planen will – was aber beim Segeln einerseits sehr sehr wichtig ist, wobei es jedoch auch einen Punkt gibt, an dem man gar nicht mehr planen kann, sondern nur reagieren. Und da tue ich mich im Moment sehr schwer. Deshalb tut der Stopp in der Marina in Licata sehr gut.
Die Marina in Licata besticht vor allem durch die herzliche Seglergemeinschaft, die wir hier erleben. Es gibt morgens um 9 Uhr eine Funkrunde, in der Fragen wie Arzt, Transport zum Flughafen, technische gegenseitige Hilfe, Partyankündigung und vieles mehr besprochen wird. Es gibt mittwochs und freitags einen Stammtisch in einer Bar am Hafen, am Steg wird geklönt und geholfen, Ratschläge ausgeteilt, Hafenhandbücher getauscht. Die Marina ist riesig, sie soll, wenn sie fertig ist, für 1.500 Schiffe gut sein und der größte Mittelmeerhafen werden (naja … da müssen wir wohl noch 30 Jahre warten). Im Moment ist es recht leer, ein Segelboot nach dem anderen segelt seit wir kamen raus und wird von den Seglern mit großem Tuten und Winken verabschiedet. Auch das eine schöne Geste. Auch wenn die Marina eine „5-Star-Marina“ mit freundlichem und hilfsbereitem Personal ist, so ist sie doch nicht mit unserer türkischen in Kusadasi zu vergleichen. Die Toiletten und Duschen sind zu wenig und lassen sehr zu wünschen übrig. Die Marina liegt jedoch sehr günstig (und ist für italienische Verhältnisse auch sehr günstig) und man ist gleich in einem netten sizilianischen Städtchen von 58.000 Einwohnern mit den engen schmalen Gassen, Wäsche auf den Balkonen, dem Geruch von Moder in der Luft und den abbröckelnden Fassaden. Überall gibt es leckeres Eis und Pizza satt. Es ist also alles da, was unser Seglerherz begehrt.
Am 15. Mai fliegen wir wieder nach Catania. Mit dem Bus machen wir dann unsere zweite Sightseeing-Tour zurück nach Licata durch ein fruchtbares und grünes Land. Dann werden wir noch einige Reparaturen vornehmen von Dingen, die uns auf der 6-wöchigen Tour kaputt gingen, wie z.B. dem Unterliekstrecker der Fock, werden die Windfahnensteuerung mit einer neuen Leine bestücken, denn die sieht schon nach der kurzen Zeit recht übel aus. Stephan wird alle Wanten, Stage, Leinen, Schrauben etc. bis zum Mast überprüfen, damit auch alles in Ordnung ist und dann werden wir uns wieder aufmachen bis zum Westzipfel von Sizilien, dann zu den Ägadischen Inseln, rüber nach Sardinien und dann freuen wir uns auf die Balearen. Dann wird es auch für euch wieder spannender als über Heimatgeschichten zu hören.
Es grüßt euch
recht herzlich
Stephan (in Berlin) und Nela (aus Badbergen)
PS: Ich habe viele Fragen bekommen zum Thema KOMMENTAR. Dazu habe ich im Impressum eine kleine Erklärung verfasst.